Benjamin Karer, CGI

Dr. Benjamin Karer

Executive Consultant

 

Aus anderen Branchen wissen wir, dass eine digitale Transformation kein IT-Projekt ist, sondern immer die gesamte Organisation betrifft. Bei der Polizei ist dies nicht anders. Auch hier setzt die Digitalisierung einen ganzheitlichen Wandel voraus. Was dies für die Fachabteilungen, die IT und ihre Zusammenarbeitet bedeutet, beschreibe ich hier.

In unserer datengetriebenen Welt übernimmt auch die Polizei neue Aufgaben: Neben den herkömmlichen Ermittlungen im analogen Raum muss sie mehr und mehr digitale Artefakte bearbeiten und sich so neue Ermittlungsansätze erschließen. Dabei ergeben sich die größten Potenziale und Herausforderungen aus der schieren Menge der Informationen. Schließlich geht es heute längst nicht mehr nur um Daten aus sichergestellten Asservaten, sondern auch um Informationen aus offenen Quellen, z. B. einschlägigen Foren und Nachrichtenportalen.

Was bedeutet die heutige Datenflut für die Arbeit der Polizei?

Wenn Daten immer vielfältiger, dynamischer und fallspezifischer werden, muss sich der Umgang damit ändern. Der Trend geht weg von großen Monolithen – hin zu Self-Services und dynamisch bereitgestellten Funktionalitäten. Die Nutzung der Software Palantir durch die bayerische Polizei ist hierfür ebenso ein Beispiel wie die Einrichtung von Datenkompetenzeinheiten in Hessen oder das Schulen von Data Science beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF).

All dies dient dazu, ad hoc neue Funktionen verfügbar zu machen. Unserer Erfahrung nach sind Low-Code und KI weitere effektive Helfer – ihr Potenzial kann jedoch nur gehoben werden, wenn sich die IT entsprechend aufstellt.

Warum sollte mehr IT-Kompetenz in die polizeilichen Fachabteilungen verlagert werden?

Niemand weiß besser Bescheid als die Fachabteilungen, wenn es um die konkreten Prozesse in der polizeilichen Arbeit geht. Ihr Wissen sollte daher gezielt in Erfahrung gebracht werden – z. B. im Rahmen flächendeckend durchgeführter Schulungen zum EU AI Act. Parallel müssen Polizistinnen und Polizisten in Zukunft aber auch besser dazu befähigt werden, Datenerhebungs- und Verarbeitungsprozesse selbst zu automatisieren.

Unserer Einschätzung nach werden Self-Service-Analytics-Tools und Werkzeuge wie Business Process Modeling immer wichtiger. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Umgang mit den entsprechenden Technologien von den Fachabteilungen aufwändig erlernt werden muss: KI-unterstützte Interfaces vereinfachen die Nutzung auch für nicht technik-affine Nutzerinnen und Nutzer, da über einen Chat direkt mit der Software kommuniziert oder sogar mit ihr gesprochen werden kann.

Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass diese Zuarbeit von KI-Agenten in Prozessen orchestriert werden muss. Business-Process-Modelling-Werkzeuge bieten sich hier als Low-Code-Orchestrierungsplattform an.

Wie stellt sich die IT als Weichensteller für die moderne Polizeiarbeit auf?

Aus unserem Austausch mit den Behörden wissen wir, dass eine Verlagerung von IT-Kompetenz in die Fachabteilungen aus Sicht der zentralen IT-Abteilung gewisse Herausforderungen mit sich bringt.

Zum einen fördert die Umstellung Doppelstrukturen. In einer ohnehin schon von Personal- und Fachkräftemangel geprägten Umgebung ist es natürlich nicht sinnvoll, dass jede Einheit ihre eigenen Entwicklerinnen und Entwickler vorhält. Diesem Missstand kann aber durch eine demokratisierte Anwendungsentwicklung begegnet werden, die sich auf Low-Code- und No-Code-Systeme stützt. Diese können durch die Fachabteilungen selbst bedient werden – die IT unterstützt je nach Bedarf, flexibel und schnell mit spezialisierten Entwicklungsteams.

Ein zweites Risiko liegt in der Förderung von Schatten-IT. Eine dezentrale Umsetzung von IT-Anwendungen lädt geradezu dazu ein, wichtige Standardisierungen und Compliance-Prozesse außer Acht zu lassen. Allerdings sind KI-Anwendungen heute so niederschwellig zugänglich, dass ohnehin große Anreize zum Aufbau von Schatten-KI-Systemen bestehen. Wir sehen die Lösung für dieses Problem in einer neuen Rolle der IT-Abteilung: In Zukunft könnte sie die sichere Betriebsumgebung bereitstellen, auf der die Fachabteilungen mit Hilfe von Low-Code- und No-Code-Lösungen selbstständig ihre KI-Agenten konfigurieren und betreiben. Darüber hinaus könnte die IT auch bei der Entwicklung maßgeschneiderter Agenten gezielt unterstützen.

Insgesamt wird die IT-Abteilung durch diese neue Struktur entlastet. Da einzelne Komponenten der Entwicklung durch die Fachabteilungen selbst übernommen werden, sinken die Entwicklungszeiten insgesamt – ohne dass die Belastung für die Polizistinnen und Polizisten signifikant steigt. Außerdem ließe sich durch den höheren Individualisierungsgrad der Anwendungen die Qualität, der für das konkrete Verfahren erreichten Ergebnisse verbessern. Die Kontrolle über die IT-Sicherheit und die Compliance verbliebe dabei in der IT-Abteilung, sodass die damit verbundenen Anforderungen zuverlässig erfüllt werden.

Welche Phasen sind für die Transformation der Polizei entscheidend?

Auch wenn die Herausforderungen sich ähneln, ist jede Behörde anders strukturiert. Wie lässt sich im Einzelfall also sicherstellen, dass die Ermittlungsteams in den Polizeibehörden noch effektiver auf aktuelle Probleme reagieren können? Und wie lässt sich die Ermittlungsarbeit noch effizienter gestalten, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Aufgrund unserer Erfahrung schlagen wir hier einen geordneten Transformationsprozess vor, der in drei Phasen unterteilt ist: 

  1. Die Analyse des Status-quo im Rahmen eines Assessments 
  2. Der Entwurf eines auf das jeweilige Bundesland bzw. die Behörde und die föderale Struktur ausgerichteten Zielbilds, das die Anbindung an die polizeilichen Informationssysteme wie INPOL und PIAV mitberücksichtigt 
  3. Die Entwicklung und Umsetzung einer Roadmap mit den nächsten technisch-infrastrukturellen und organisatorisch-systemischen Schritten, begleitet durch regelmäßige Assessments zur Kontrolle des Fortschritts und ggf. Anpassung der Roadmap
     

Für das Gelingen ist dabei entscheidend, den Wandel transparent nach innen und außen zu kommunizieren, die Kolleginnen und Kollegen dort abzuholen, wo sie stehen und konsequent mitzunehmen – durch ein begleitendes Change Management, Trainings und das Hinzuziehen von erfahrenen Beraterinnen und Beratern.

Durch die digitale Transformation und neue Rolle der IT wird es unserer Einschätzung nach besser gelingen, mit der Dynamik der Kriminalitätsphänomene Schritt zu halten und die Gesellschaft auch in Zukunft erfolgreich zu schützen.

Wenn Sie mehr über neue Digitalisierungsansätze bei der Polizei erfahren möchten, sprechen Sie mich gerne an.

Über diesen Autor

Benjamin Karer, CGI

Dr. Benjamin Karer

Executive Consultant

Dr. Benjamin Karer ist Experte für komplexe Datenanalyseanwendungen in Sicherheitsbehörden und anderen hochregulierten Umfeldern. Er berät insbesondere zur Strategie und Governance bei der Einführung von KI-Services und Advanced Analytics-Anwendungen.